Dr. Erika Wäcker-Babnik, Kunsthistorikerin und Galeristin, München (Katalogtext »Reisebilder«, Ausstellung Galerie Müller und Petzinna)

REISEBILDER

Indem wir die Gegen­wart gewahr wer­den, ist sie schon vor­über, das Bewusst­sein des Genus­ses liegt immer in der Erinnerung“

Die­ses Zitat aus Chris­ta Wolfs „Kein Ort.Nirgends“ ist einer von meh­re­ren Apho­ris­men der Schrift­stel­le­rin, die Clau­dia Bor­mann in einem frü­he­ren Kata­log ihrer Male­rei an die Sei­te gestellt hat. Bis heu­te ist das Eph­eme­re des fest­ge­hal­te­nen Augen­blicks Haupt­merk­mal der atmo­sphä­ri­schen Natur­dar­stel­lun­gen der Künst­le­rin. Und so begeg­net man auch in den „Rei­se­bil­dern“ von Clau­dia Bor­mann, in Werk­grup­pen wie den Was­ser­land­schaf­ten und See­stü­cken, den Pflan­zen­mo­ti­ven und Vogel­schwär­men aus Zim­bab­we, Bra­si­li­en und Kap­stadt jenem Natur­er­le­ben, das jedem noch so flüch­ti­gen Moment Inne­hal­ten Raum gibt für Kon­tem­pla­ti­on – als bild­ge­wor­de­ne Erinnerung.

Erin­ne­rung umso mehr, als die far­bi­gen Gemäl­de wie „After The Rain (Ama­zo­ni­en)“ und „Sam­be­si (Zim­bab­we)“ nicht vor Ort, son­dern erst nach der Rück­kehr im Rat­ze­bur­ger Ate­lier aus­ge­ar­bei­tet wor­den sind. Als Basis die­nen der Künst­le­rin neben Foto­gra­fien Schwarz­weiß-Skiz­zen auf Papier und Lein­wand, wie etwa die klein­for­ma­ti­gen „„Afri­can Land­scapes“, in denen sie ihre unmit­tel­ba­re Wahr­neh­mung der Land­schaf­ten mit­tels im raschen Ges­tus hin­ge­wor­fe­ner Linea­tu­ren und lavier­ter Flä­chen fest­ge­hal­ten hat.

Bei vie­len der grö­ße­ren Natur­stü­cke glaubt man für einen Moment, vor einer Foto­gra­fie zu ste­hen. Nicht jedoch einem sta­ti­schen Abbild, son­dern viel­mehr einer Impres­si­on, in der sich die Erin­ne­run­gen an das flir­ren­de Spiel von Licht und Schat­ten, die sanf­ten Bewe­gun­gen der Wel­len, das lei­se Wie­gen der Grä­ser und Bäu­me, ihre vibrie­ren­de Bre­chung im Spie­gel der Was­ser­ober­flä­che verdichten.

Das zu bewir­ken ver­mag nur eine Male­rei, deren gan­zes Poten­ti­al aus­ge­schöpft wird:

Zügig und mit extra­brei­tem Pin­sel trägt Clau­dia Bor­mann Schicht um Schicht der in feins­ten Nuan­cie­run­gen abge­stimm­ten Acryl­far­be lavie­rend und trans­pa­rent auf, so dass das Weiß der Lein­wand durch­schim­mert. Dar­über legt sie ein Netz aus locker gesetz­ten Schlie­ren, Lini­en und Schraf­fu­ren. Aus der Distanz betrach­tet fügen sich die groß­for­ma­ti­gen Farb- und Form­kom­po­si­tio­nen zu hori­zont­lo­sen Land­schafts­räu­men zusam­men. Die luzi­de Trans­pa­renz sug­ge­riert eine Bild­tie­fe, die den Blick bis auf den Grund der Gewäs­ser und im Spie­gel der Was­ser­ober­flä­che bis in den blau­en Him­mel öffnet.

Im Zoom lösen sich die Pin­sel- und Farb­struk­tu­ren, das Lini­en­ge­flecht und die Farb­ver­läu­fe in rei­ne Male­rei auf. Das Chan­gie­ren zwi­schen Raum und Flä­che, zwi­schen Abbild­haf­tig­keit und Abs­trak­ti­on bewegt sich in einem labi­len Gleich­ge­wicht. Die­ses Gleich­ge­wicht ver­schiebt sich immer mal wie­der zuguns­ten einer expres­si­ven Male­rei: Etwa in „Vitto­ria Regia (Ama­zo­ni­en)“ oder der Bild­rei­he der „Com­pa­ny Gar­dens (Cape Town)“, wo – ganz im wört­li­chen Sin­ne – das lokal­spe­zi­fi­sche Kolo­rit in die Farb­pa­let­te einfließt.

In Arbei­ten wie „Shadows“ und „Bota­ni­cal Gar­den“ sind Äste und Blatt­werk her­aus­fo­kus­siert und auf Form und Struk­tur, auf Hell­dun­kel-Kon­trast und male­ri­schen, bzw. zeich­ne­ri­schen Ges­tus redu­ziert. In den aus meh­re­ren Bild­ta­feln bestehen­den Impres­sio­nen vege­ta­bi­ler Licht­spie­le von bra­si­lia­ni­schen Bäu­men und Palm­dä­chern liegt ein Höchst­maß an Kon­zen­tra­ti­on und expres­si­ver Aus­drucks­kraft, ein künst­le­ri­sches Prin­zip, das Clau­dia Bor­mann in ihren inten­si­ven Schwarz­weiß­bil­dern jah­re­lang vor­be­rei­tet hat. Im Destil­lat aus Flä­chen­mus­ter und Linea­tu­ren ver­dich­tet sich die Atmo­sphä­re der licht­durch­flu­te­ten Vege­ta­ti­on zu kon­struk­tiv ange­leg­ten Strukturbildern.

Es gehört zur beson­de­ren Qua­li­tät der „Rei­se­bil­der“ von Clau­dia Bor­mann, dass sie zwar kon­kret ver­or­tet sind, sich visu­ell aber einer ein­deu­ti­gen topo­gra­fi­schen Zuord­nung ent­zie­hen. Selbst spe­zi­fi­sche Moti­ve wie die Werk­grup­pe „Initia­ti­on Cerem­o­ny“, die auf die Schil­de­rung einer kul­ti­schen Hand­lung aus der Bio­gra­fie Nel­son Man­de­las zurück­geht, tre­ten hin­ter der atmo­sphä­ri­schen Aus­füh­rung zurück. Es han­delt sich um mehr­tei­li­ge Tableaus, die sich jeweils zum Bild zusam­men­schlie­ßen. Die mit Koh­le und Krei­de gezeich­ne­ten Dar­stel­lun­gen von Jun­gen, die nach einem Initia­ti­ons­ri­tus ins Was­ser sprin­gen, gera­ten durch die gestei­ger­te Dyna­mik der beweg­ten Lini­en­füh­rung und Flä­chen­be­hand­lung zum erup­ti­ven Gesche­hen, das die Kör­per mit dem Was­ser ver­schmel­zen lässt und mit­samt dem Betrach­ter im Sog des Stru­dels in die Tie­fe zu zie­hen scheint.

Bewe­gung, Ver­gäng­lich­keit, Erin­ne­rung – es ist die dem Rei­sen inne­woh­nen­de Meta­pho­rik, die die „Rei­se­bil­der“ von Clau­dia Bor­mann mit zusätz­li­cher Bedeu­tung auflädt.Als Ergeb­nis eines fest­ge­hal­te­nen Ein­drucks, aber gleich­zei­tig längst ver­gan­ge­nen Moments, sind sie Gegen­wart und Erin­ne­rung in einem.