REISEBILDER
„Indem wir die Gegenwart gewahr werden, ist sie schon vorüber, das Bewusstsein des Genusses liegt immer in der Erinnerung“
Dieses Zitat aus Christa Wolfs „Kein Ort.Nirgends“ ist einer von mehreren Aphorismen der Schriftstellerin, die Claudia Bormann in einem früheren Katalog ihrer Malerei an die Seite gestellt hat. Bis heute ist das Ephemere des festgehaltenen Augenblicks Hauptmerkmal der atmosphärischen Naturdarstellungen der Künstlerin. Und so begegnet man auch in den „Reisebildern“ von Claudia Bormann, in Werkgruppen wie den Wasserlandschaften und Seestücken, den Pflanzenmotiven und Vogelschwärmen aus Zimbabwe, Brasilien und Kapstadt jenem Naturerleben, das jedem noch so flüchtigen Moment Innehalten Raum gibt für Kontemplation – als bildgewordene Erinnerung.
Erinnerung umso mehr, als die farbigen Gemälde wie „After The Rain (Amazonien)“ und „Sambesi (Zimbabwe)“ nicht vor Ort, sondern erst nach der Rückkehr im Ratzeburger Atelier ausgearbeitet worden sind. Als Basis dienen der Künstlerin neben Fotografien Schwarzweiß-Skizzen auf Papier und Leinwand, wie etwa die kleinformatigen „„African Landscapes“, in denen sie ihre unmittelbare Wahrnehmung der Landschaften mittels im raschen Gestus hingeworfener Lineaturen und lavierter Flächen festgehalten hat.
Bei vielen der größeren Naturstücke glaubt man für einen Moment, vor einer Fotografie zu stehen. Nicht jedoch einem statischen Abbild, sondern vielmehr einer Impression, in der sich die Erinnerungen an das flirrende Spiel von Licht und Schatten, die sanften Bewegungen der Wellen, das leise Wiegen der Gräser und Bäume, ihre vibrierende Brechung im Spiegel der Wasseroberfläche verdichten.
Das zu bewirken vermag nur eine Malerei, deren ganzes Potential ausgeschöpft wird:
Zügig und mit extrabreitem Pinsel trägt Claudia Bormann Schicht um Schicht der in feinsten Nuancierungen abgestimmten Acrylfarbe lavierend und transparent auf, so dass das Weiß der Leinwand durchschimmert. Darüber legt sie ein Netz aus locker gesetzten Schlieren, Linien und Schraffuren. Aus der Distanz betrachtet fügen sich die großformatigen Farb- und Formkompositionen zu horizontlosen Landschaftsräumen zusammen. Die luzide Transparenz suggeriert eine Bildtiefe, die den Blick bis auf den Grund der Gewässer und im Spiegel der Wasseroberfläche bis in den blauen Himmel öffnet.
Im Zoom lösen sich die Pinsel- und Farbstrukturen, das Liniengeflecht und die Farbverläufe in reine Malerei auf. Das Changieren zwischen Raum und Fläche, zwischen Abbildhaftigkeit und Abstraktion bewegt sich in einem labilen Gleichgewicht. Dieses Gleichgewicht verschiebt sich immer mal wieder zugunsten einer expressiven Malerei: Etwa in „Vittoria Regia (Amazonien)“ oder der Bildreihe der „Company Gardens (Cape Town)“, wo – ganz im wörtlichen Sinne – das lokalspezifische Kolorit in die Farbpalette einfließt.
In Arbeiten wie „Shadows“ und „Botanical Garden“ sind Äste und Blattwerk herausfokussiert und auf Form und Struktur, auf Helldunkel-Kontrast und malerischen, bzw. zeichnerischen Gestus reduziert. In den aus mehreren Bildtafeln bestehenden Impressionen vegetabiler Lichtspiele von brasilianischen Bäumen und Palmdächern liegt ein Höchstmaß an Konzentration und expressiver Ausdruckskraft, ein künstlerisches Prinzip, das Claudia Bormann in ihren intensiven Schwarzweißbildern jahrelang vorbereitet hat. Im Destillat aus Flächenmuster und Lineaturen verdichtet sich die Atmosphäre der lichtdurchfluteten Vegetation zu konstruktiv angelegten Strukturbildern.
Es gehört zur besonderen Qualität der „Reisebilder“ von Claudia Bormann, dass sie zwar konkret verortet sind, sich visuell aber einer eindeutigen topografischen Zuordnung entziehen. Selbst spezifische Motive wie die Werkgruppe „Initiation Ceremony“, die auf die Schilderung einer kultischen Handlung aus der Biografie Nelson Mandelas zurückgeht, treten hinter der atmosphärischen Ausführung zurück. Es handelt sich um mehrteilige Tableaus, die sich jeweils zum Bild zusammenschließen. Die mit Kohle und Kreide gezeichneten Darstellungen von Jungen, die nach einem Initiationsritus ins Wasser springen, geraten durch die gesteigerte Dynamik der bewegten Linienführung und Flächenbehandlung zum eruptiven Geschehen, das die Körper mit dem Wasser verschmelzen lässt und mitsamt dem Betrachter im Sog des Strudels in die Tiefe zu ziehen scheint.
Bewegung, Vergänglichkeit, Erinnerung – es ist die dem Reisen innewohnende Metaphorik, die die „Reisebilder“ von Claudia Bormann mit zusätzlicher Bedeutung auflädt.Als Ergebnis eines festgehaltenen Eindrucks, aber gleichzeitig längst vergangenen Moments, sind sie Gegenwart und Erinnerung in einem.