Claudia Bormann beschäftigt sich in ihren Landschaften mit der Schnittstelle von Wirklichkeit und malerischer Fiktion. Sie entwirft im Grenzbereich zur Gegenständlichkeit imaginäre Bildräume, die in ihrer Menschenleere und der sonderbar kontemplativen Zeitlosigkeit eine Bühne für Assoziationen und Erinnerungen der Betrachter liefern. Ihre Bilder bestechen durch das rasche Erfassen der geschauten Situation und die dichte emotionale Wiedergabe der spezifischen Atmosphäre, die jede konventionelle topografische Schilderung weit hinter sich lässt, vor allem aber durch die klare Reduktion auf die entschiedene Linienführung und das farbige Flächenmuster. In fließender Bewegung skizzieren lockere Pinselstriche, schwellende Lineaturen und pulsierende Farbflecken im oftmals engen Ausschnitt eines realen Naturraums universelle Strukturen einer Fluss- oder Seenlandschaft und den dominanten Stimmungsträger der sich darauf entfaltenden Lichtreflexe. Claudia Bormanns Bilder bezeichnen dabei eine glückliche Synthese aus Impression und Expression, also dem im Bild überlieferten, subjektiven Eindruck des erlebten Moments und der Verlagerung dieses Blicks in die körperliche Malmotorik.
Kunst ist stets, und das ist ihre große, vom Publikum allerdings wenig honorierte Stärke, subjektiv und darstellend, verhält sich somit zur Welt immer abstrakt distanziert. Anlass der malerischen Untersuchung von Claudia Bormann ist die Landschaft, oftmals dienen eigene Fotografien als Ausgangspunkt, die ihren individuellen, stark fokussierten Blick auf die Umwelt demonstrieren. Damit fließen existente Räume in ihre Arbeiten ein, jedoch nur stark abstrahiert zum Gefüge der Komposition und zur Skala des Farbeindrucks. Im Geviert der Leinwand verändern sich Ausschnitte und Dimensionen, verwischen Konturen, verflüchtigen sich Landschaftszonen zu horizontalen Balkenformationen und Wellenbewegungen zu diagonaler Farberuption, lösen sich Pinselstriche aus landschaftlichen Bezügen, um als reine Malgeste vor Augen zu treten.
Damit entwickelt die Künstlerin die Oberflächen zu großer stofflicher Prägnanz, erprobt in Experimenten mit gestischem und abstraktem Vokabular nicht allein optische Effekte, sondern in aufgetropften Schlieren und züngelnden Farbbahnen auch das Farbmaterial selbst. Erfahrungen realer Räumlichkeit sind in das breite Spektrum variierender Farbtiefe und faktischer Farbschichtung verlagert; und auch die Farbpalette changiert in dunkeltonigem Grünblau oder abstraktem Schwarzweiß zwischen farbigem Lichtäquivalent und rein mentalem Farbraum. Die Prinzipien der Abstraktion ergeben sich dabei weitgehend aus der Veränderung des Blickpunkts. In der größeren Fernsicht ist die ruhige Flächenkomposition aus verknappten Signaturen für Horizont, Ufersaum und Baumbesatz innerbildlich wirksam, stärkere Dominanz aber entfaltet der transparente Farbschleier und das nuancenreiche Farbstakkato als stimmungsvolle Witterungsanalogie. Im Heranzoomen zu monumentalem Close up, bei dem wir mitten im Wald am Wasser stehen, stilisiert die Gesamtheit der Landschaftsdetails zum rein informellen All over eines ornamentalen Farbteppichs.
Claudia Bormann fasziniert dieses Wechselspiel zwischen dem Raum und Licht darstellenden Potential der Malerei und ihrer unabhängigen, eben malerischen Qualität, wobei hier keine von beiden allein bestehen kann und soll. Dadurch entsteht eine gleichwertige Erscheinung von freier malerischer Farbform und abbildhaft gebundener Wirklichkeitsdeutung, oder anders gesprochen: Im Prozess des Malens vollzieht sich die Metamorphose naturhafter Formen zu Schraffuren und Farbflecken, also zu mehrdeutigen Kürzeln, die gerade in ihrer assoziativen Offenheit die atmosphärische Wahrnehmung des intimen Sehmoments so sicher ins Bild transportieren. Immer sucht Claudia Bormann diese ausgeglichene Relation zwischen Abbild und seiner Auflösung, innerem Bild und freier Formsetzung. Damit werden Zwischenräume freigelegt, die zwar der Wirklichkeit entstammen, sich aber als Bild von den Klischees der Welt entfernen, um innerlich und emotional, eben malerisch zu werden.
Jens Martin Neumann, Kunsthistoriker, Kiel