Jens Martin Neumann (Kunsthistoriker, Kiel) – Rede anlässlich der Ausstellungseröffnung im Kunsthaus Müllers, Rendsburg

Clau­dia Bor­mann beschäf­tigt sich in ihren Land­schaf­ten mit der Schnitt­stel­le von Wirk­lich­keit und male­ri­scher Fik­ti­on. Sie ent­wirft im Grenz­be­reich zur Gegen­ständ­lich­keit ima­gi­nä­re Bild­räu­me, die in ihrer Men­schen­lee­re und der son­der­bar kon­tem­pla­ti­ven Zeit­lo­sig­keit eine Büh­ne für Asso­zia­tio­nen und Erin­ne­run­gen der Betrach­ter lie­fern. Ihre Bil­der bestechen durch das rasche Erfas­sen der geschau­ten Situa­ti­on und die dich­te emo­tio­na­le Wie­der­ga­be der spe­zi­fi­schen Atmo­sphä­re, die jede kon­ven­tio­nel­le topo­gra­fi­sche Schil­de­rung weit hin­ter sich lässt, vor allem aber durch die kla­re Reduk­ti­on auf die ent­schie­de­ne Lini­en­füh­rung und das far­bi­ge Flä­chen­mus­ter. In flie­ßen­der Bewe­gung skiz­zie­ren locke­re Pin­sel­stri­che, schwel­len­de Linea­tu­ren und pul­sie­ren­de Farb­fle­cken im oft­mals engen Aus­schnitt eines rea­len Natur­raums uni­ver­sel­le Struk­tu­ren einer Fluss- oder Seen­land­schaft und den domi­nan­ten Stim­mungs­trä­ger der sich dar­auf ent­fal­ten­den Licht­re­fle­xe. Clau­dia Bor­manns Bil­der bezeich­nen dabei eine glück­li­che Syn­the­se aus Impres­si­on und Expres­si­on, also dem im Bild über­lie­fer­ten, sub­jek­ti­ven Ein­druck des erleb­ten Moments und der Ver­la­ge­rung die­ses Blicks in die kör­per­li­che Malmotorik.

 

Kunst ist stets, und das ist ihre gro­ße, vom Publi­kum aller­dings wenig hono­rier­te Stär­ke, sub­jek­tiv und dar­stel­lend, ver­hält sich somit zur Welt immer abs­trakt distan­ziert. Anlass der male­ri­schen Unter­su­chung von Clau­dia Bor­mann ist die Land­schaft, oft­mals die­nen eige­ne Foto­gra­fien als Aus­gangs­punkt, die ihren indi­vi­du­el­len, stark fokus­sier­ten Blick auf die Umwelt demons­trie­ren. Damit flie­ßen exis­ten­te Räu­me in ihre Arbei­ten ein, jedoch nur stark abs­tra­hiert zum Gefü­ge der Kom­po­si­ti­on und zur Ska­la des Farb­ein­drucks. Im Geviert der Lein­wand ver­än­dern sich Aus­schnit­te und Dimen­sio­nen, ver­wi­schen Kon­tu­ren, ver­flüch­ti­gen sich Land­schafts­zo­nen zu hori­zon­ta­len Bal­ken­for­ma­tio­nen und Wel­len­be­we­gun­gen zu dia­go­na­ler Farb­erup­ti­on, lösen sich Pin­sel­stri­che aus land­schaft­li­chen Bezü­gen, um als rei­ne Mal­ges­te vor Augen zu treten.

 

Damit ent­wi­ckelt die Künst­le­rin die Ober­flä­chen zu gro­ßer stoff­li­cher Prä­gnanz, erprobt in Expe­ri­men­ten mit ges­ti­schem und abs­trak­tem Voka­bu­lar nicht allein opti­sche Effek­te, son­dern in auf­ge­tropf­ten Schlie­ren und zün­geln­den Farb­bah­nen auch das Farb­ma­te­ri­al selbst. Erfah­run­gen rea­ler Räum­lich­keit sind in das brei­te Spek­trum vari­ie­ren­der Farb­tie­fe und fak­ti­scher Farb­schich­tung ver­la­gert; und auch die Farb­pa­let­te chan­giert in dun­kel­to­ni­gem Grün­blau oder abs­trak­tem Schwarz­weiß zwi­schen far­bi­gem Licht­äqui­va­lent und rein men­ta­lem Farb­raum. Die Prin­zi­pi­en der Abs­trak­ti­on erge­ben sich dabei weit­ge­hend aus der Ver­än­de­rung des Blick­punkts. In der grö­ße­ren Fern­sicht ist die ruhi­ge Flä­chen­kom­po­si­ti­on aus ver­knapp­ten Signa­tu­ren für Hori­zont, Ufer­saum und Baum­be­satz inner­bild­lich wirk­sam, stär­ke­re Domi­nanz aber ent­fal­tet der trans­pa­ren­te Farb­schlei­er und das nuan­cen­rei­che Farbst­ak­ka­to als stim­mungs­vol­le Wit­te­rungs­ana­lo­gie. Im Her­an­zoo­men zu monu­men­ta­lem Clo­se up, bei dem wir mit­ten im Wald am Was­ser ste­hen, sti­li­siert die Gesamt­heit der Land­schafts­de­tails zum rein infor­mel­len All over eines orna­men­ta­len Farbteppichs.

 

Clau­dia Bor­mann fas­zi­niert die­ses Wech­sel­spiel zwi­schen dem Raum und Licht dar­stel­len­den Poten­ti­al der Male­rei und ihrer unab­hän­gi­gen, eben male­ri­schen Qua­li­tät, wobei hier kei­ne von bei­den allein bestehen kann und soll. Dadurch ent­steht eine gleich­wer­ti­ge Erschei­nung von frei­er male­ri­scher Farb­form und abbild­haft gebun­de­ner Wirk­lich­keits­deu­tung, oder anders gespro­chen: Im Pro­zess des Malens voll­zieht sich die Meta­mor­pho­se natur­haf­ter For­men zu Schraf­fu­ren und Farb­fle­cken, also zu mehr­deu­ti­gen Kür­zeln, die gera­de in ihrer asso­zia­ti­ven Offen­heit die atmo­sphä­ri­sche Wahr­neh­mung des inti­men Seh­mo­ments so sicher ins Bild trans­por­tie­ren. Immer sucht Clau­dia Bor­mann die­se aus­ge­gli­che­ne Rela­ti­on zwi­schen Abbild und sei­ner Auf­lö­sung, inne­rem Bild und frei­er Form­set­zung. Damit wer­den Zwi­schen­räu­me frei­ge­legt, die zwar der Wirk­lich­keit ent­stam­men, sich aber als Bild von den Kli­schees der Welt ent­fer­nen, um inner­lich und emo­tio­nal, eben male­risch zu werden.
Jens Mar­tin Neu­mann, Kunst­his­to­ri­ker, Kiel